SKATE THE WORLD REVIEW UND PREVIEW
SKATE THE WORLD
Nur wenn du langsam reist, kann die Seele mitreisen. Das wussten schon die amerikanischen Ureinwohner. Ob sie dabei an einen Wiener auf Inlineskates dachten steht zur Debatte.
Nevertheless: Dabei kann nur eine gute Geschichte rauskommen.
Gute Geschichten gibt es bereits einige zu erzählen. Um nur ein paar Anregungen zu geben: Verhaftet in Miami, gestürzt in Barcelona, Drohne gecrasht in Singapur, fast verdurstet in Malaysien. Na gut, glatt lief bisher nicht immer alles, aber das macht die Angelegenheit nur spannender. So schlimm wie es alle prophezeit hatten, kam es jedoch nie. Das Umfeld weiß ja meistens schon vorab, wie man im Rollstuhl landet. Ganz nach dem Motto – die Dummen haben das Glück – habe ich Länder wie Kenia oder Indonesien ungeimpft, ohne schwere Krankheit und Verletzung überstanden. #isurvived. Ich bräuchte vermutlich meinen eigenen Geotag, um immer anzugeben, dass ich in Sicherheit bin. Leichtsinnigkeit wäre jedenfalls keine gute Idee, und der Gefahren sollte man sich durchaus bewusst sein. Meistens wird die Suppe heißer gekocht als gegessen; und gerade in Zeiten, in der die Gesellschaft von Angst durchzogen scheint, ist genau der richtige Moment gekommen, um mit Sport die „gefährliche“ Welt zu erkunden.
An dieser Stelle wird es Zeit für ein kurzes Intro: Bei Skate the World geht es darum, Städte und Länder aus vielen Blickwinkeln zu erkunden, andere Kulturen besser kennenzulernen und das Ganze mit Sport zu verbinden. Ich glaube, dass so etwas ohnehin nur in Verbindung mit Sport funktionieren kann, denn mir hat mal jemand deutlich Weiseres gesagt: „Nur wenn du langsam reist, kann die Seele mitreisen.“ Oder noch ein schlauer Spruch von Johann Wolfgang v. G. aus Frankfurt: „Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen.“ Ein Auto ist zu schnell – und die Wanderschuhe zu langsam.
BISHER BEREISTE ORTE AUF INLINESKATES & SHORT-TRACK SCHUHEN
Ein soziosportkulturelles Selbstexperiment sozusagen. Wozu? Weil es Sinn macht, mehr als nur die von Touristen überlaufenen Trampelpfade zu erkunden, denn eine der Grundregeln ist: Keine öffentlichen Verkehrsmittel und Co. zu benutzen – es sei denn, es geht wirklich nicht anders. Das kam bisher nur in einer Stadt vor, und das war weder in Mombasa in Kenia noch in Semarang in Indonesien oder im türkischen Hinterland von Side. Nein, es war erstaunlicherweise das schöne westeuropäische Lissabon, das einen auf Skates an den Rand eines Nervenzusammenbruchs führen kann.
ES WAR EINMAL…
Der Ursprung dieser vielleicht ein bisschen irrsinnigen Idee liegt schon viele Jahre zurück. Ich kann gar nicht so genau sagen wie lang, aber vermutlich war der erste Schritt zur großen Welt auf acht Rollen derjenige auf die Eisfläche des Wiener Eisrings Süd, gemeinsam mit meinem Schulfreund Declan. Wir kamen damals, vor mittlerweile 17 Jahren, auf den Geschmack von Short-Track Eisschnelllauf. Das Nascar der Eishallen. Short-Track = Sport, wo ein paar Verrückte auf einer Bahn im Kreis laufen – und einst der Australier Steven Bradbury legendär durch die Stürze anderer Olympiagold holte.
Jedenfalls hat damals in Wien-Favoriten meine Karriere begonnen, die mehr als mein halbes Leben nicht nur beeinflusst, sondern vollkommen diktiert und auf den Kopf gestellt hat. Tagein, tagaus ging es nur noch ums Eislaufen. Und ums Gewinnen. Ein ziemliches Ego-Game mit vielen sozialen Komponenten. Sport ist vielseitig, und viele mögen ja kurzsichtig meinen, dass Einzelsportler narzisstisch sind. Was sie jedenfalls lernen, ist Eigenverantwortung zu übernehmen, denn am Ende des Tages steht man ganz allein auf der Startlinie. Viele Lektionen aus dieser Lebensschule „Sport“ habe ich erst deutlich später begriffen. Nach und nach begreife ich, wie unfassbar wertvoll Sport für meine Entwicklung war.
Ich blicke auf viele Staatsmeistertitel, Weltmeisterschaftsteilnahmen, verrückte Erlebnisse und einige Jahre im Ausland zurück. Immer dabei: meine Skates. Aber nicht nur die Iceskates, sondern auch die Inlineskates, denn die waren erstens ein probates Trainingsgerät und zweitens das beste Fortbewegungsmittel, das ich mir damals wie heute wünschen kann.
Ich kann mich noch gut erinnern, als wir uns – ich war ungefähr 13 – spezielle Challenges auferlegt hatten, damit das Training nicht zu monoton wird. Geistreiche Einfälle wie: Mit den Skates innerhalb eines Tages zu jeder McDonalds Filiale in Wien zu fahren oder durch jeden Bezirk zu skaten und das Ganze fotografisch festzuhalten. Immer so schnell mein damaliger Trainingspartner Andre und ich eben konnten. Dass wir dabei auf viele andere „sinnvolle“ Ideen gekommen sind, brauche ich jetzt vermutlich nicht zu betonen.
Aus heutiger Sicht grenzt es wohl an ein Wunder, dass wir uns weder schwer verletzt haben noch verhaftet worden sind. Vieles bleibt besser unter Verschluss. Fotos mit abenteuerlichen Frisuren von damals zu veröffentlichen, sollte genügen. Jedenfalls waren wir damals so verrückt, für den Einsatz eines Cheeseburgers mit vollem Speed Böschungen und steile Hänge hinunter zu „skaten“ – ohne die geringste Chance, bremsen zu können. Für einen Cheeseburger!!! Wer bremst verliert. Das beantwortet aber auch die Frage, ob Skater im Gelände oder auf kaputten Straßen eine Chance haben. Die meisten nicht – manche schon!
Eine geile Zeit im Sinne von „Skate the World“, ohne nur zu ahnen, wo das Ganze hinführen könnte. Schon damals sind wir in allen möglichen Städten, vor allem in Osteuropa, mit den Skates herumgefahren. Just for Fun.
Aus heutiger Sicht hat uns der Sport vermutlich vor Gefängnissen oder Schlimmerem bewahrt.
MEHR ALS NUR…
Was mir der Sport mitgegeben hat, ist die Grundlage für das DailySports Print-Magazin und ganz besonders für das Privileg, mit Skates um die Welt reisen zu dürfen. So absurd, dass ich es selbst nur glauben kann, wenn ich die Fotos sehe. Bei genauerer Betrachtung hat sich über die Jahre mit dem „irgendwo auf der Welt skaten“ fast nichts geändert.
Diesmal allerdings nicht mehr mit Eislaufschuhen, um gegen andere irgendwo in Übersee anzutreten und zu versuchen, der Beste zu sein. Der Zweck bleibt aber der gleiche, auch wenn das Bewusstsein dafür ein ganz anderes ist. Es geht darum, die schönsten oder manchmal auch nicht so schönen Orte kennenzulernen, mit anderen Kulturen und Menschen in Kontakt zu kommen, Freundschaften zu schließen und dabei Bewegung zu machen; und wenn das nicht reicht, dann einfach nur, weil es mich glücklicher macht als alles andere. Irgendwo zu skaten wo noch kaum einer dran gedacht hätte und es am besten 35 Grad hat und man alle Sorgen rausschwitzen kann!
Der Leistungssport öffnet einem viele Tore und ebnet Wege die gar nicht vorstellbar waren. Sport ist eine Lebensschule, in der man beispielsweise Vorurteile gegen andere Nationen abbaut. Denn wenn ich jetzt an die kalten Tage zurückdenke, zählten die Piefke zu meinen besten Freunden im Sport. Ja sogar und ganz besonders die Dresdner (#ostdeutsche) sind mir ans Herz gewachsen…Die Münchner in unserer Trainingsgruppe haben immer darüber gescherzt, dass sie nach Wochen in Dresden froh wären nach Deutschland zurückzukehren… Das sagt doch alles.
Aber nicht nur unsere nächsten Nachbarn sind mir näher gekommen. Noch heute bin ich in regelmäßigem Kontakt mit meinem besten Sportsfreund aus Lettland. Bei Wettkämpfen sind wir immer gemeinsam mit den Japanern, Russen, Kroaten, Belgiern, Australiern oder Amerikanern abgehangen. Politik, Hautfarbe, Geschlecht und Vorurteile spielten keine Rolle. So auch heute auf den Rollen – und das in einer Zeit, in der man gefühlt bei jedem Wort aufpassen muss, ob sich nicht doch jemand beleidigt fühlt. Von der Leistungsgesellschaft zur Opfergesellschaft? Jedenfalls zu einer Gesellschaft, die für mich damals im Sport „glücklicherweise“ nicht sichtbar war, weil wir alle irgendwo gleich und trotzdem von Grund auf verschieden waren. Und das war/ist gut so und sollte zelebriert werden.
Der Sport hat scheinbar so eine starke Wirkung, dass viele Probleme komplett aus dem Blickwinkel verschwinden.
Klar: Missstände gibt es überall. Egal wo man hinsieht ist irgendetwas zu finden, und trotzdem wäre diese Welt ohne Sport nicht denkbar, denn Sport verbindet definitiv mehr als er spaltet. Auf den Skates in fernen Ländern erkennt man das am allerbesten.
“ Manchmal reicht es die Skates anzuziehen, um eine vollkommen neue Perspektive auf diese wunderschöne Welt zu bekommen ”
FREUNDKONTAKT
Als echter Wiener lernt man ja schon früh, andere und fremde Leute nicht einfach so anzusprechen. Steckt in der DNA und wäre doch einfach nicht normal, in der U-Bahn irgendjemanden zu fragen wo er hinfährt, wie es ihm geht oder einfach mal einen high five zu verteilen. Schade eigentlich, oder? Egal ob mit oder ohne rosaroter Brille: Österreich ist die schönste Homebase, die ich mir wünschen kann, zumindest von März bis Oktober. Die Kälte ist zum Skaten eher nicht so „cool“. Daher lohnt es sich, von Zeit zu Zeit dem Winter zu entfliehen.
Oft reicht schon ein zehnstündiger Zwischenaufenthalt, um eine Stadt zu erkunden. Vorausgesetzt man hat die Skates griffbereit. Es ist schon spannend, wen man so kennenlernt, welche Geschichten man hört und wie die Welt aus einer anderen und meistens verschwitzten Perspektive aussieht. Vielleicht auch ein bisschen ein Anreger, um über die eigene Existenz nachzudenken. Über das was man gut findet, und das was man ändern möchte. Wenn man alt ist kann man das ja nicht mehr machen…oder vielleicht doch? Der 75-Jährige, den ich auf einer Skate Tour am Fuß eines Berges in Malaysien getroffen habe, ist der Beweis für das Gegenteil, denn seit 40 Jahren geht er jeden Tag die fünf Kilometer und 800 Höhenmeter zum Wachwerden und sieht dabei noch immer besser aus als die meisten dreißigjährigen Europäer. Wer rastet, der rostet – ein echter Augenöffner.
Wie besonders diese Microabenteuer auf den Skates sind, habe ich das erste Mal vor ein paar Jahren in Barcelona realisiert. Ich kam an Orte, die ich nie gesehen hätte, hätte ich mich an die Touristenführer oder die öffentlichen Verkehrsmittel gehalten, ich habe Tapas Bars gefunden, in denen nur Einheimische essen. Das hat sich auf die Qualität und den Preis positiv ausgewirkt. Genau an solchen Orten bin ich auch meistens mit Leuten ins Gespräch gekommen, die ich ohne Skates nie angesprochen hätte. Habe ich auch nicht, denn der große Vorteil mit Skates in einer fremden Stadt oder Region ist, dass die Leute meistens aus Neugier auf einen zugehen und wissen wollen, was man denn da macht und wo man herkommt. So bin ich schon oft an Geheimtipps gekommen, wie beispielsweise eine Metallbrücke in Singapur, auf der man gut downhillskaten kann, einen versteckten Markt in Sri Lanka, der das beste Masalagewürz herstellt, oder einfach die einheimische Bäckerei von nebenan. Ein richtiger Barrierenzerstörer, diese Skates!
SKATE-ABENTEUER IM VIETNAM
SKATE-ABENTEUER IN RUSSLAND
HUPE = FRIEDENSPFEIFE
Egal wo ich auf der Welt bisher geskatet bin, aber ganz besonders in Asien und Afrika: Ich wurde immer angehupt. Soweit ich das einschätzen kann – und der Daumen nach oben in den Ländern, in denen ich war, keine Obszönität
darstellt -, war das Hupen immer ein Zeichen der Zustimmung, auch wenn die meisten nicht abschätzen konnten, worum es dabei geht. Der positive Spirit war immer da. Könnte also das Soundbranding für kommende Videobeiträge werden… Bisher habe ich fast ausschließlich positive Erfahrungen gemacht. Ich bin vor allem froh, durch das Reisen gesehen zu haben, wie es sich in anderen Ländern lebt und wie andere Menschen mit ihrem Leben zurecht kommen, um auch viel mehr wertschätzen zu können, was wir hier in Österreich als selbstverständlich wahrnehmen. Wir müssen mit den Privilegien, die wir hier vorfinden, sehr vorsichtig umgehen. Ich glaube, die verschwinden schneller, als es uns als Wohlfühlgesellschaft lieb ist.
Vor zwei Jahren bin ich auf Einladung des Robinson Clubs dem Ruf in die Türkei gefolgt. Zu einer Zeit, in der besonders große Angst herrschte, was einen erwarten würde, vor allem wenn man aus Deutschland oder Österreich kommt. Das Bauchgefühl war sehr mulmig, aber letztendlich bin ich mit den Skates 25 Kilometer quer durch Side und Manavgat gefahren – auch in Gegenden, in die selbst in gut besuchten Zeiten bestimmt keine Touristen kommen. Was ich vorgefunden habe: hilfsbereite und freundliche Menschen. Glück? Vielleicht. Jedenfalls hat sich in den meisten Gesprächen herausgestellt, dass die Mehrheit sehr offen mit der politischen Thematik umgeht und sich ebenfalls nicht vorstellen konnte, wie schnell das eine oder andere gewohnte Privileg von heute auf morgen verschwunden war.
CHANGE THE WORLD
Glaube ich, dass „Skate the World“ die Welt verändern kann? Ich habe keine Ahnung, aber es verändert meine Welt, und ich glaube auch ein bisschen die von denen, die ich treffe und mit denen ich mich austausche. Das Wichtigste was ich durch den Sport gelernt habe: Geh mit offenen Augen durch die Welt. Sei höflich, aber kritisch, denn Respekt muss man sich immer erst verdienen. Gib was du hast, um deine Ziele zu erreichen, und hinterfrage stets den Sinn von diesen.
Ich habe meine Editorials nicht nur einmal mit dem Zitat von Nelson Mandela begonnen beziehungsweise geschlossen: Sport has the power to change the world. Daran glaube ich.
Sportliche Highlights auf und abseits der Straßen von Miami bis Berlin
SKATE-TALK MIT MARCO DALLAGO
Ein kleiner Exkurs mit Red Bull Crashed Ice Weltmeister, Freund und Leidenschaftskollege Marco Dallago über die Motivation zur
Content-Produktion und die Möglichkeiten, die sich dadurch für Sportler bieten.
DANKE
DANKE an alle, die mich bei dieser Mission bisher unterstützt, fotografiert oder gefilmt haben. Besonderer Dank geht an das Team des Travellers, das mir viele dieser Abenteuer ermöglicht hat.
Auf travelbruno.at findet ihr in Zukunft viele weitere spannende Skatereiseblogs. Mögen noch viele Abenteuer folgen!
www.skatethe.world
Beitrag von:
Matthias Stelzmüller | Herausgeber DailySports
Photocredits: Matthias Stelzmüller, Chaluk, Konstantin Reyer, Ingo Derschmidt