B-Girl Ella zählt zu den ambitioniertesten Tänzerinnen in der österreichischen Breakdance-Szene. Als Bronzemedaillengewinnerin der Youth Olympic Games in Buenos Aires 2018 durfte sie als erste Österreicherin olympische Breakdance-Luft schnuppern. Nicht bloß eine neue Sportart, sondern gleich eine ganze Lebensphilosophie macht sich damit unter den Fünf Ringen breit.
Gemeinsam mit dem russischen B-Boy Bumblebee gewann Ella im vergangenen Herbst in der argentinischen Hauptstadt Bronze im Mixed-Bewerb. Dabei ist Ella gar nicht ihr bürgerlicher Name. In ihren Dokumenten steht nämlich Anna Thurner. Die Geschichte dahinter ist für sie weniger amüsant als emotional. „Wir hatten einmal eine Katze, die so hieß. Leider mussten wir sie sehr früh einschläfern lassen, da sie sehr krank war. Sie war eine überaus clevere und kämpferische Katze“, erzählt Ella. „Da ich sowieso gerade auf Namenssuche war und mir der Name sehr gut gefiel, beschloss ich, ihn einfach zu übernehmen.“ Inzwischen hat sich ihr Künstlername so sehr in ihrem Alltag verfestigt, dass sie sogar mehr Leute Ella nennen als Anna – auch die Lehrer in der Schule. „Und es stört mich auch gar nicht.“
Überhaupt den Weg nach Buenos Aires zu schaffen, war für die heute 17-jährige Ella eine große Überraschung. Begonnen hatte alles mit einem kurzen Video (siehe unten) einer Performance von ihr, das sie im Rahmen der ersten Qualifikationsphase eingereicht hatte. Die digitale Qualifikation ist eine der Errungenschaften, um die Schwelle zur Teilnahme noch weiter zu senken. Allen interessierten B-Girls und -Boys war es möglich, sich in der Ausscheidung zu versuchen. Prompt wurde Ella als eine der besten fünf Österreicherinnen in die nächste Runde gewählt. „Wenn ich ehrlich bin, hätte ich nie gedacht, dass ich unter die fünf besten Österreicherinnen komme. Das Video raufzuladen, war eigentlich eher eine spontane Aktion ohne viele Erwartungen gewesen“, betont die Kärntnerin gegenüber DailySports. Über die Kontinental- und schließlich die Weltausscheidung buchte Ella dann endgültig ihr Ticket für Argentinien.
Abgesehen von der alles überstrahlenden Medaille, die heute eingerahmt in ihrem Zimmer hängt, erlebte das B-Girl in Buenos Aires viele weitere Momente, die sich in ihr Gedächtnis eingebrannt haben. Unbezahlbar waren die Erfahrungen für ihre junge Karriere, sogar die BBC hat sie für ein Video geshootet. Ganz nebenbei sind auch viele Freundschaften entstanden. „Ein freiwilliger Helfer hat ein Battle für uns organisiert. Dadurch konnten wir uns auch mit den einheimischen Tänzern austauschen und zusammen trainieren“, schwelgt Ella in Erinnerungen. Für sie ist Breakdance – oder auch Breaking – nämlich mehr als bloß eine Abfolge von Tanzschritten. „Breakdance macht für mich die positive Lebenseinstellung gegenüber anderen Tänzern und Mitmenschen aus. Die Individualität wird gefördert, jeder ist gut so wie er ist und niemand muss sich verstellen, verändern oder wird ausgelacht, wenn etwas nicht klappt oder man noch nicht auf dem Level des Gegenübers ist.“ Die dadurch gelebten Werte treten auch im Interview schnell zutage. Von eintrainierten Standardfloskeln kann keine Rede sein. Kaum verwunderlich, ist die Breakdance-Szene doch durch eine enorme Vielfalt geprägt. „Peace, Unity, Love and having fun“, lautet das Motto.
Ein Dancebattle ist für Ella vergleichbar mit einer kommunikativen Auseinandersetzung. „Einer bringt in Form von Tanz ein Statement, auf das der andere antworten sollte.“ Wie intensiv das geschieht, ist von Mal zu Mal verschieden, wie im echten Leben: „Manche Diskussionen dauern etwas länger, das wäre dann ein Call-out-Battle zwischen zwei Tänzern. Einer fordert mit Gesten, bestimmten Schritten oder Blicken zur Diskussion heraus. Im Laufe des Call-outs sieht man von selbst, wer der Bessere ist oder mehr Argumente hat. Nach dem Battle verträgt man sich wieder“, schildert Ella, die durch ihren kleinen Bruder Elias zum Breakdance gekommen ist, den Ablauf des tänzerischen Konkurrenzkampfes. Der New Yorker Stadtteil Bronx, der als Entstehungsort des Breakdance gilt, steht auf der Reise-Wunschliste der 17-Jährigen ganz weit oben. Dort hat sich die Tanzform als Teil der Hip-Hop-Bewegung in den frühen 1970er-Jahren entwickelt.
Bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris könnte Breakdance seine Premiere auf der traditionellen Olympia-Bühne feiern. Eine endgültige Entscheidung darüber fällt das IOC Ende 2020. Für Ella passt der Tanzsport aber auf jeden Fall zu den Spielen. „Neben Musikalität und Ausdruck braucht man auch sehr viel Kraft, Ausdauer und Körperkoordination, um schwere Moves leicht aussehen zu lassen und umgekehrt. Breaking wird dadurch oft unterschätzt“, spricht sie die hohen körperlichen Anforderungen an. Dementsprechend hoch ist auch der Trainingsaufwand. Mindestens dreimal pro Woche trainiert das B-Girl mit ihren Trainern Sina Müller, Vasi Iancu und ihrer Crew, den 2012 gegründeten „Funky Monkez“. Und schließlich sei die Aufnahme ins Programm der Jugendspiele ein voller Erfolg gewesen. „Wie man in Buenos Aires gesehen hat, sind sehr viele Menschen daran interessiert, denn die Battles zählten zu den meistbesuchten Wettkämpfen. Es bringt einen frischen Wind ins Programm“, ist Ella überzeugt, dass Breakdance eine Bereicherung für Olympia ist. Bis dorthin wird jedenfalls noch viel Wasser den Bach hinunter fließen. Zwar hofft Ella, dass es Breakdance tatsächlich ins Programm der Olympischen Spiele 2024 schafft, was das für ihre eigene Karriere bedeuten würde, könne sie aber momentan noch nicht sagen. „Jedenfalls bin ich dankbar, dass ich die Erfahrung in Buenos Aires machen durfte“, zeigt sie sich bescheiden. Sobald sie die HLW in Hermagor absolviert hat, strebt die Kärntnerin in Richtung Universität. Mit der im Breakdance gelebten und gelernten Offenheit wird dieser Schritt kein schwieriger sein.
Foto: Free Soul Film