Er hat mit der „perfekten Fahrt“ auf der legendären Streif den Maßstab für die schwierigste Abfahrtstrecke der Welt gesetzt. Fast 15 Jahre später ist es
um Stephan Eberharter ruhig geworden. Eine Ruhe, die er in vollen Zügen genießt.

Die nächste Saison steht vor der Tür. Bist du froh, dass du nicht mehr fahren musst, oder vermisst du es, wenn du beispielsweise an Kitzbühel denkst?
Nein, ich vermisse es nicht. Es war eine tolle Sache zu der Zeit, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem gewisse Dinge einfach nicht mehr funktioniert haben. Also, dass ich mich da oben hinstelle und mich zu hundert Prozent runterhaue. Kitzbühel war sowieso im- mer so eine Hassliebe…

Ist das mehr Angst oder Respekt, wenn man da oben steht?
Respekt. Wenn man Angst hat, dann darf man gar nicht hinauf gehen. Aber dieser Respekt und das Wissen, dass da oben wirklich auch was passieren kann und trotzdem nie locker zu lassen – ich glaub das macht es aus. Ich war jedes Mal froh heil im Ziel zu sein. Man sagt ja oft, man muss „das Hirn ausschalten“ oder „Augen zu und durch“ – die Wahrheit ist aber eine ganz andere. Du kannst bei solchen komplexen Aufgaben niemals deinen Kopf ausschalten. Du bist da extrem gefordert! Genau da trennt sich die Spreu vom Weizen, wenn es um diese mentalen Fähigkeiten geht.

Hattest du dann einfach irgendwann genug von dem Ganzen?
Es war so – ich war gesättigt. Da ist viel auf der Strecke geblieben, so auch meine Freundin und meine Kinder, die immer warten mussten. Es ist wichtig, ein soziales Leben zu haben. Heute bin ich dafür dankbar. Das war ein richtiger Resozialisierungsprozess.

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Was sind die neuen Herausforderungen, die du für dich gefunden hast?
Ich halte zum Beispiel Vorträge für Unternehmen. Sportler werden bewundert, weil sie nicht aufgeben. Genau das versuche ich weiterzugeben. Von allein geht gar nichts. Es hat mich immer Energie gekostet, nachdem ich gefallen bin, wieder aufzustehen und es immer und immer wieder zu probieren. Das steckt in jedem, nur hat nicht jeder diese Ausdauer. Leute wie Benni Raich oder Marcel Hirscher, die haben das alle.

Was ist das Skifahren für dich heute im Vergleich zu früher? Misst du dich noch mit anderen?
Nein, ich fahre keine Tore mehr. Mir ist nämlich vor kurzem ein Malheur passiert, als ich bei irgendeinem kleinen Rennen mitgefahren und gestürzt bin. Man erwischt sich selbst schon öfter dabei, dass man zu sehr draufdrückt und dann hat man am nächsten Tag Rückenprobleme (lacht). Es geht darum, gesund zu bleiben, Spaß zu haben und mit den Kindern Ski zu fahren.

Werden aus deinen Kindern auch Skirennfahrer?
Da sind wir bei einem Thema, wo ich mir wirklich schwer tu. Der Skisport ist toll und auch charakterbildend. Man kann das allerdings nicht mit meinen Anfängen vergleichen. Wenn ich mir den Nachwuchs heute so anschaue, die Kinder, die wie nichts mit ihren Carvingskiern über die Eisplatten fahren.. ..Jeder Weltcupfahrer um die 25 Jahre sagt dir, dass er sich schon mindestens zwei Mal das Kreuzband gerissen und Rückenprobleme hat. Das sind genau die, die schon als Kind mit den Carvingski angefangen haben.

Also wünschst du dir aus gesundheitlichen Gründen keinen Leistungssport für deine Kinder?
Müsste ich es entscheiden, was ich nicht tue, würde ich es mir eher nicht wünschen. Aber wenn der Ehrgeiz, die Ambition und der Wunsch nach einer Profikarriere vorhanden sind….

Was ist für dich das Faszinierende am Skifahren?
Das sind mehrere Faktoren. Zum einen ist man draußen in der Natur und zum anderen hat der Schnee an sich eine ganz besondere Faszination. Und wenn man’s jetzt wirklich so gut kann wie ich (lacht), dann ist das halt auch dieses Spiel mit der Fliehkraft. Es ist die Bandbreite die einem im Skisport geboten wird – es ist für jeden was dabei. Abseits der Piste zu fahren, Touren zu gehen, Sprünge in der Halfpipe, Langlaufen,…

Aber für dich keine Extreme mehr?
Nein, das brauch ich nicht mehr. Wenn du da einmal auf der Streif oben gestanden bist, dann reicht das für ein ganzes Leben. Ich muss mich nicht mehr messen – und ich kann mich auch gar nicht mehr mit anderen messen.

Saalbach bewirbt sich wieder für die Ski-WM – für dich wahrscheinlich auch eine tolle Erinnerung, oder?
In jedem Fall, ja. Das war eine eigene Story. Ich war absoluter Neuling, hab aber auch schon viel trainiert damals in Hinterglemm. Ich bin im Training volles Risiko gefahren und hatte eine tolle Zeit. Nach dem Training bin ich schlafen gegangen mit dem Gedanken: „Morgen muss eine Medaille her, weil so leicht wie morgen wird’s nie wieder“. Und dann bin ich eingeschlafen mit dem Gedanken „Ich hol mir Gold“.

Und es hat funktioniert.
Ja klar. Aber für mich war’s schon auch so: Du wirst aus deinem normalen Leben herausgerissen, jetzt kennt dich jeder, ab jetzt legen alle alles auf die Waagschale. Das hat mich damals geärgert, heute nicht mehr. Ich muss mich nicht erklären, muss mich nicht entschuldigen, ich zieh einfach mein Ding durch. Man muss es nicht jedem recht machen.
Mit dem Wissen von heute nochmal Athlet zu sein, das wär jedenfalls ein Spaziergang (lacht).